Die Deutschen und die Radioaktivität (Psycho-Path #21, 07/2011)

… würde der Psycho-Path in Farbe erscheinen, würde die Überschrift dieses Artikels wohlmöglich giftgrün auf der Seite prangen. Mein Beitrag zur allgemeinen Medienhysterie. Vielleicht würden auch die Buchstaben die Andeutung eines unheilschwangeren Glühens verbreiten. Und, ich würde mich wahrscheinlich zu einer schmissigen Unterzeile hinreißen lassen. Irgendetwas mit „Strahlentod“, „Krebsgefahr“ oder „Super-GAU“ würde sich da bestimmt gut machen …
Doch nicht nur aufgrund unseres monochromen Daseins, werde ich versuchen, nicht dem allgemeinen journalistischen Duktus(1) zu folgen.

"Nachtmahr" von J. H. Füssli um 1781

„Nachtmahr“ von J. H. Füssli um 1781

Angst stellt eine kulturübergreifende Basisemotion dar und besitzt aus evolutionspsychologischer Perspektive für den Organismus einen hohen Überlebenswert. Sie befähigt dazu, potentielle Gefahren zu erkennen, zu vermeiden und adäquat, d.h. überlebenssichernd und möglichst energiesparend, zu handeln. Man unterscheidet zwischen Angst und Furcht. Letztere ist eine Reaktion des Bewusstseins auf eine konkrete Bedrohung, zeitlich begrenzt und rational begründbar (Realangst). Wohingegen unter dem Begriff der Angst ein diffuser, ungerichteter Gefühlszustand der Bedrohung zu verstehen ist, welcher schleichend beginnt und keine klaren Abgrenzungen besitzt. Angst wirkt sich auf das Denken/Fühlen, den Körper sowie das Verhalten aus – wobei hier die Qualität der Emotion darüber entscheidet, inwieweit sich diese hemmend oder förderlich für das Individuum niederschlägt. So kann zum Beispiel ein niedriger Grad von Angst in Leistungssituationen durchaus gewinnbringend sein, wohingegen eine (zu) starke Angstreaktion zur Blockade führen kann.
In vielen Prozessen des menschlichen, sozialen Miteinanders spielt Angst eine entscheidende Rolle für Entscheidungen und Verhaltensweisen. Ob aus Befürchtung vor Ausgrenzung und Isolation, vor sozialem Abstieg oder vor dem unvermeidlichen Älterwerden und dem Tod. Angst erscheint als natürliche Triebfeder für Anpassung, Entwicklung und Fortschritt ebenso geeignet zu sein, wie zur Manipulation und Lenkung der Massen.
So wie sich die Angst als eine der wichtigsten Emotionen für den Menschen darstellt, so ist auch die Angststörung eines der bedeutendsten pathologischen Störungsbilder der klinischen Psychologie und Psychiatrie. Eine Angststörung liegt dann vor, wenn das Gefühl der Angst unangemessen stark, zu häufig oder zu lang auftritt, sowie mit Kontrollverlust und Leidensdruck einhergeht (s.a. Infobox). Neben den phobischen Störungen, kann eine Angststörung in Form einer Panikattacke oder generalisiert auftreten. Generalisiert bedeutet, die Angstreaktion wird als andauernd und frei flottierend wahrgenommen, ist nicht an ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation gebunden und somit nicht antizipier- und vermeidbar. Der gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnisstand verweist sowohl auf psychologische, biologische als auch auf erworbene Einflussfaktoren bei der Entstehung von Angststörungen. Ebenso lassen sich situative Auslöser als Verstärker regelhaft beobachten und die entscheidende Rolle der Umwelt für die Manifestation eines pathologischen Störungsbildes ausmachen.


German Angst

Oder: die deutsche Krankheit

Unsere hoch zivilisierten Massenwohlstandsgesellschaften fungieren geradezu als Nährboden verschiedenster psychischer Krankheitsbilder und unsere individualisiert-hedonistischen Kulturen bieten im Speziellen für Angststörungen jeglicher Art ausreichend Raum. Noch nie hatten die Menschen so viel zu verlieren und so wenig eigene wahrgenommene Kontrolle darüber. Noch nie war die Welt scheinbar so komplex und die Zukunft so ungewiss.
Der Befund einer Angststörung bezieht sich stets auf ein Individuum. Der Begriff German Angst impliziert jedoch, dass einer ganzen Nation eine solche Diagnose gestellt werden kann. Unter German Angst wird im angelsächsischen Raum eine „ängstliche Zögerlichkeit“ der Deutschen verstanden und bezieht sich auf einen als typisch empfundenen gesellschaftlich-politischen Charakterzug, der schon vor und während des zweiten Weltkrieges den Deutschen in Form von Hysterie und Irrationalität attestiert wurde. Später galten zum Beispiel die zurückhaltende Außen- und Sicherheitspolitik in Bezug auf den zweiten Golfkrieg oder die oft weltweit beispiellose Panikmache der deutschen Medien (Vogelgrippe, BSE etc.) als Belege für eine „deutsche Krankheit“.
Doch ist Deutschland tatsächlich ein Land der Ängstlich-Depressiven? Ein Land, dessen Bürger in permanenter, diffuser Furcht an der Welt leiden? Und die Deutschen ein Volk, das im Besonderen durch Angst blockiert, gelenkt, kontrolliert und manipuliert werden kann?
Die Journalistin und Buchautorin Sabine Bode zeigt diesbezüglich in ihrem Buch „Die deutsche Krankheit – German Angst“ eine historisch bedingte Disposition der Deutschen auf. Die NS-Zeit, der zweite Weltkrieg und seine Konsequenzen prägten die Kinder der Nachkriegsgeneration nachhaltig. Eine tief sitzende Verunsicherung und irrationale Zukunftsängste waren die Folgen. Geschickt lässt Sabine Bode hierbei Interviewpartner aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur zu Wort kommen und zeichnet so „eine Art Collage kurzer Psychogramme der deutschen Seelenlage“ (Die literarische Welt). Dergestalt erscheint das Konstrukt der German Angst als denk- und nachvollziehbar. Doch inwieweit solche nationalen Traumata wirklich Bestand haben und nicht zum „globalen Allgemeingut“ verwischen, bleibt ungeklärt. Zudem entpuppt sich die German Angst als durchaus differenziert und themenabhängig. Die Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 hinterließ in Deutschland nur oberflächlichen Schrecken, und wurde in anderen Ländern, wie z.B. Großbritannien und Frankreich, weitaus ängstlicher betrachtet.


Radioaktivität

Oder: wie ich lernte, die Angst zu lieben

Der von den Medien geprägte Begriff des Fukushima-Effektes bezeichnet verschiedenste politische, wirtschaftliche und kulturelle Auswirkungen der Nuklearkatastrophe nach dem 11. März diesen Jahres. So z.B. das Wiedererstarken der Anti-Atomkraft-Bewegung, die erhöhte Nachfrage von erneuerbaren Energien, sowie generelle Tendenzen zum Umweltschutz und zur „grünen Politik“. In Anbetracht der Ergebnisse der Landtagswahl in Baden-Württemberg Ende März diesen Jahres trifft dies in besonderem Maße auf Deutschland zu. Lässt sich aber in diesem Zusammenhang von einer „deutschen Atom-Angst“ sprechen?
Aktuelle politische Entscheidungen und Maßnahmen der deutschen Regierung wirken in Folge der Ereignisse in Japan als (zumindest) aktionistisch und suchen weltweit ihresgleichen. Ob hier politisches Kalkül oder eine unbeholfene Reaktion zur Beruhigung eines vermeintlich verängstigten Volkes ausschlaggebend waren/sind, ist müßig zu hinterfragen und höchst spekulativ(2).
Und auch das Konstrukt einer German Angst scheint diesbezüglich eher fraglich. Mutmaßlich panische Überreaktionen sind kein rein deutsches Phänomen. Auch andernorts (USA, Schweiz, China etc.) wurden Jodtabletten knapp, erhöhte sich der Absatz von Geigerzählern, Menschen bunkerten Notrationen oder es wurden Einfuhrbegrenzungen für japanische Lebensmittel erlassen.
Betrachtet man die Berichterstattung der deutschen Medien nach dem Erdbeben vor Japans Küste, dem darauf folgenden verheerenden Tsunami und während der sich (immer noch) entwickelnden Reaktorkatastrophe in Fukushima, fällt jedoch auf, wie schnell Mitleid und Empathie für die Opfer einer (zumindest) medialen „Atom-Angst“ gewichen sind. Mit Erdbeben und Tsunami lassen sich hierzulande nur schwer Ängste schüren; AKWs hingegen zieren auch deutsche Landschaften.

Angstprojektionsfläche

Das Thema Kernenergie ist per se mit Vorurteilen, Misstrauen und Unwissen belastet; man neigt schnell zu einer Dämonisierung. Zum einen ist die unausweichliche Endlagerung des Atommülls ein ungelöstes Problem. Zum anderen wirkt ein Stör-/Unglücksfall bei den Menschen deutlich tiefer, als zum Beispiel ein Grubenunglück – auch wenn diese weltweit weit mehr Menschenleben kosteten. Begriffe wie Kontamination und Krebs sind unumgänglich. Angst vor der Kernkraft ist zugleich die Angst vor dem Unbekannten. Es umgibt sie die Aura einer besonderen Unheimlichkeit. Auch wenn sich so manche dieser Ängste bei genauerer Betrachtung als irrational darstellen – ein viel diskutiertes „Restrisiko“ fühlt sich nicht wirklich beruhigend an.

Ebenso schnell wie die Bilder von den gespenstischen Wassermassen, die ganze Dörfer mit sich rissen, verwüstete Landstriche und obdachlose Menschen hinterließen, von der monotonen (und nicht minder schaurigen) Darstellung der Nuklearanlage in Fukushima abgelöst wurden, wichen diese mittlerweile ihrerseits einer lokalen, innerdeutscher Gefahr. Ein „Schurken-Bakterium“ namens EHEC macht die Runde und hält das Land in seinem Bann(3) – endlich wieder etwas zum Angsthaben. Δ

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(1) An dieser Stelle möchte ich nicht (auch) den Fehler von Verallgemeinerung und Pauschalisierung begehen. (s.a. Quellen und Empfehlungen)
(2) Zudem erscheint hier das Resultat (die nötige Energiewende) weitaus wichtiger, als Annahmen über dessen Auslöser, Wirkfaktoren und Zusammenhänge.
(3) In Anbetracht der „medialen Halbwertzeit“ unserer Ängste ist zu vermuten, dass bei Erscheinen dieses Artikels bereits das nächste große Angst-Thema gefunden wurde.